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Attempt No. 3 International Light Art Award
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by Petroschek Wulgarow

Der Wulgarow reiste also tief in den Westen, um sich das Zentrum für Lichtkunst in Unna anzuschauen und dort der Verleihung des International Light Art Awards beizuwohnen. Doch bevor wir in die Schauerlichkeiten der Veranstaltung eindringen, sei mir ein kurzes Intro gestattet, liebe Lesende, einfach damit Sie die Zusammenhänge auch in ihrer Gänze genießen können.

Photo courtesy of the author.

Tagebau und Kulturförderung – eine kleine Einführung

Im Herzen von Nordrhein-Westfalen gräbt der Energieriese RWE tiefe Löcher in die Umgebung, um an die letzten natürlichen fossilen Brennstoffe Deutschlands zu gelangen. RWE ist ein Garant für Wohlstand und Wachstum in der Region und somit auch einer der wenigen Förderer von Kultur und Kunst im Staate Deutschland. RWE erhält Arbeitsplätze und notwendige Managergehälter und schafft jede Menge Shareholder Value, bringt Licht und Wärme in Millionen Haushalte, während es die Lebensgrundlage und Gesundheit derselben zeitgleich gefährdet und zerstört: Sei es ganz konkret bei der Zerstörung eines der letzten natürlichen Laubwälder Europas (dem Hambacher Forst) oder einfach nur durch Verpesten der Luft und das Kontaminieren der Fauna und des Grundwassers. Braunkohleunternehmen lieben ihre Förderaktivitäten (kleines Wortspiel am Rande), so hauchte auch der schwedische Energiekonzern Vattenfall Europe der Tagebauregion Lausitz in Ostdeutschland für Jahre Leben ein, förderte Sport, Kunst und Kultur – aber der Spaß ist nun vorbei.

RWE im Westen ist hingegen noch immer fleißig zugange. In den 2000ern gründeten sie eine Tochtergesellschaft, die Innogy, die inzwischen als Innogy SE bekannt ist. Sehr schnell stellte sich heraus, dass die (Energy + Innovation = Innogy) gar nicht so grün war, denn bis heute kommt der Großteil des Umsatzes vor allem aus Energieinfrastruktur. Mehr noch: Der Energiekonzern E.ON kaufte erst in diesem Jahr den größten Anteil an Innogy und verkaufte dafür seine nachhaltige Energieproduktion an RWE. Innogy ist jetzt also vor allem ein Infrastrukturunternehmen und RWE kann seine Nachhaltigkeitsbilanz mit dem aufgekauften Ökostrom von E.ON in Deutschland etwas grünpolieren.

Und (wir kommen dem Thema näher, liebe Lesende) jetzt kommen wir zur Innogy Stiftung, die als RWE Jugendstiftung gegründet wurde, in der kostbares Geld vor der Steuer gerettet werden kann und die in enger Kooperation mit dem Zentrum für Lichtkunst in Unna den International Light Art Award ausrichtet. Seit 2010 fördert die Innogy Stiftung für Energie und Gesellschaft soziale und kulturelle Vorhaben und Projekte. Dabei ist der gewünschte Bezug zur Energie aber immer schwieriger umzusetzen, als man denken möchte. Schauen wir doch mal.

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Der International Light Art Award – und wir danken …

Es war ein Freitag in der kleinen Stadt Unna, ungefähr 100 Kilometer von Köln entfernt, eine bürgerliche Stadt, eine Stadt, die etwas auf sich hält, eine Stadt mit dem einzigen Zentrum für Lichtkunst in Deutschland. In den Kellern des Internationalen Zentrums für Lichtkunst tummeln sich die großen Namen: Olafur Eliasson, James Turrell, Keith Sonnier – alles Marken für sich. Im Foyer bumst ein DJ loungige Elektro-Upbeats. Pink knallt der Beamer die Powerpoint der Veranstaltung an die Wand, alles ist gebrandet von der Innogy Stiftung, Hauptsponsor des Awards, dezent unten rechts auf der Folie. Ich bin hier, um die Kunst zu sehen, herauszufinden wer mit welcher Lichtinstallation den Award gewonnen hat, doch ganz im Sinne gutbürgerlicher und gesponsorter Kunstveranstaltungen muss es erst ein offizielles Programm geben. Es ist eine Art deutscher Repräsentationskultur, die ohne Snacks und Wein, ohne Reden und Musik nicht auskommt. Die Häppchen sind ganz lecker und der Wein fließt in sympathischen Mengen, doch als ich einen Blick auf den Ablaufplan des Abends werfe, wird mir unmittelbar bewusst, was ich mir da aufgebürdet habe: Zwei Stunden voller Ansprachen und Reden, voller forcierter Podiumsdiskussionen und Künstlerportraits, bevor es dann endlich zum Wesentlichen kommt.

Zuerst also die Ansprache des Hausdirektors des Lichtzentrums: Vielen Dank an die Stadt Unna und danke an die Innogy Stiftung und danke an diese Person und an jene Institution, ohne sie alle wäre das nicht möglich. In der Podiumsdiskussion sitzen dann die Hauptfunktionäre der Institutionen, die sich gegenseitig nochmals danken, nochmals auf die Unmöglichkeit einer Umsetzung ohne die Sponsoren hinweisen. Sie sprechen, es wird geklatscht, draußen braut sich ein Gewitter zusammen, die Luft ist drückend und feucht. Dankend verabschiedet die Moderatorin alle Beteiligten und dafür erhält sie am Ende der Veranstaltung, als Dankeschön auch eine Blume, die sie dankend annimmt.

Danach eine Ansprache des Innogy Stiftungsdirektors: Er dankt erst den einen und dann noch den anderen, man kann gar nicht tief genug in den regionalen Netzwerken drinstecken, um überhaupt zu umreißen, wer diese Personen sind, die sich da alle beteiligt haben. Es riecht auf jeden Fall sehr sympathisch nach engagierten Bürgern im Raum, und man hofft, dass das maschinengewehrartige Namennennen und Danken auch die richtigen Personen im Raum trifft.

Danach gibt der Direktor einen Exkurs über die Energie in der Region, über die Bedeutung von Technologie und Infrastruktur, aber auch über Fridays for Future, über protestierende Schülerinnen und Schüler, die die Schule schwänzen – das alles mit einer wohlwollenden Note. Der Applaus ist groß: Klimaschutz ist im Herzen der hauptsächlich Grauhaarigen angekommen, ihre Region lieben sie, Fortschritt muss sein. Drei Haken auf der Liste. Und irgendwie hat das dann alles auch mit Lichtkunst zu tun, die Kurve kriegt der Stiftungsmann noch so halb hin, indem er sich vorher laut fragt, ob er sie denn auch hinbekommt. Wissendes Lachen im Raum (der Mann ist ja auch schließlich Lobbyist, nicht wahr? Der muss ja über die Themen seiner Stiftung reden, oder? Na mal gucken, wie er jetzt zum Thema des Abends kommt). Die Kurve führt dann erwartungsgemäß über Energie, Technologie, Innovation zu Kunst.

“Das war es eigentlich schon. Doch bevor wir nun zur Verleihung kommen, stellen wir die Künstlerinnen vor”, moderiert die Moderatorin. Zwischen den einzelnen Programmpunkten waren verfremdete Videos eingeblendet worden, die die Nominierten und den Aufbau ihrer Installationen im Keller in aller Unschärfe umrissen. Jetzt also dürfen die armen Künstlerchen auch mal auf die Bühne; nein sie müssen. Das Künstlerduo Charlotte Dachroth und Ole Jeschonnek, Yasuhiro Chida und Jaqueline Hen haben keine Wahl.

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Die Preisträger im Gehege

Alle sind sie aufgeregt, alle sind, wie so viele Künstlerinnen, bühnenuntauglich, wirken nervös und unvorbereitet und wollen eigentlich nur noch, dass es endlich vorbei ist: das Fernsehen, die Gespräche, der Stress, die Spannung, das Für-Sich-Selbst-Sprechen-Müssen, wenn das doch eigentlich ihre Kunst für sie tun sollte. Aber nein, denn die Dankes- und Repräsentationskultur der Deutschen kennt keine Gnade. Da werden sie auf die Bühne gepfercht und dann werden ihnen Fragen gestellt, die leicht bekömmlich daherkommen, aber genau wissen worauf sie hinauswollen.

Fragen, die Dankbarkeit und Kameradschaft als Antworten fordern. Fragen, die auch mal das träumerisch vage Reden über Kunst ermöglichen, wie das Publikum es auch von Künstlern erwartet. Die gewünschten Antworten folgen dann sogleich und das Publikum, das nun schon seit weit über einer Stunde auf die Bühne starrt, darf den jungen Menschen bei den verwirrenden Dingen zuhören, die sie über ihre Kunst zu sagen haben: Da geht es um das Hinterfragen der Wahrnehmung, die Aktivierung des menschlichen Körpers und sein Verhalten im Raum, da geht es um Repräsentation und Erinnerung und vieles mehr.  Ja, die gewünschten Antworten folgen oder eben auch nicht, wie in dem Falle des einzig sichtbaren Nichteuropäers Yashuhiro, der die deutsch und englisch und denglisch gestellten Fragen in der Hitze des Gefechts nicht immer versteht und in einer schüchtern-humorvollen Art die Internationalität der Preisverleihung des Internationalen Lichtkunst Awards zugleich bestätigt und ins Wanken bringt.

Charakterlich passen sie in Seminarräume und Werkstätten. Sie passen auf kleine Homeparties und Ausstellungseröffnungen in unabhängigen Projekträumen, sie passen in die Häuserschluchten der Großstädte und in Cafés mit selbstgefertigten, weißen Designmöbeln. Sie passen in kleine Mietswohnungen, gemütlich auf die Couch mit ihren Liebsten gekuschelt. Hier auf der Bühne jedoch, fernab ihrer Habitate, eingesperrt in einem Gehege aus Öffentlichkeit, wollen sie einfach nicht so recht passen. Hier auf der Bühne, die pinke Projektion im Hintergrund, das Logo der Sponsoren rechts über ihren Köpfen schwebend, sind sie gefördert durch die INNOGY Stiftung. Man nimmt den Künstlerinnen alles, was sie zu bieten haben, mit ihrer Essenz werden die PR-Maschinen betrieben, ihre Lebenskraft ist die Braunkohle der Sponsoringindustrie: Nach einer monatelangen Planungsphase, nach drei Wochen Aufbau am Stück, untertage und jeden Sonnenlichts beraubt, nach Interviews und Zeitungsberichten, Absprachen und fernab der Heimat, müssen sie hier auf der Bühne die letzten Energien verbrennen, sie müssen tief graben und auch das letzte bisschen aus sich rausquetschen, damit die Show weitergehen kann, denn sie muss. Nach etwa zwanzig Minuten wird wieder gedankt und dann gibt es wieder eine zehrende Rede. Dieses Mal darüber, wie schwer die Auswahl fiel, wie viele Bewerbungen aus wie vielen Ländern kamen, was die Kriterien für die Kunstwerke seien und dann schließlich, wer denn nun gewonnen hat.

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Etwas Kolonialismus on top – sonst ist es kein Kunsttext.

Apropos Länder und Gewinnkriterien; durch sie ließ die Veranstaltung ganz unreflektiert koloniale Muster in der Kunstförderung durchblicken: Die 357 Einreichungen des Internationalen Lichtkunst Awards stammten aus 61 Ländern, was bei mir Grübeln auslöste. Erste Frage: Wie viele kamen dabei aus jedem einzelnen Land und welche Länder waren das? Zweite Frage: Ein Auswahlkriterium, so der Sprecher, war auch der technologische Hintergrund und die technische Umsetzung, die Neuheit der verwendeten Lichttechnologie oder einer Erfindung. Wie viele der Einsendungen waren wohl aus infrastrukturell schlecht entwickelten Ländern gekommen, wo Künstler vielleicht keinen Zugriff zu solchen Technologien, Materialien oder Werkzeugen hatten? Und dritte Frage: Machte die Repräsentanz der Technologienationen Deutschland und Japan durch die Finalistinnen nicht ganz deutlich, welches (koloniales) Gefälle es bei der Auswahl von internationalen Lichtkünstlern gibt? Es handelt bei diesen Fragen, sehr geschätzte Lesende, um rhetorische Fragen.

Immer tiefer, bis in die Unendlichkeit und noch weiter

Endlich wird das Geheimnis gelüftet. Die Künstlerinnen auf der Bühne können nicht mehr, die Luft im Raum ist weggeatmet. Rosen werden herbeigetragen. Als Jacqueline Hens Name als Gewinnerin des ILAA genannt wird, kann sie keine kameragerechte Reaktion hervorbringen. Wie erstarrt sitzt sie da, während die Anspannung von ihren Kolleginnen auf der Bühne sichtbar und mit einem Schlag abfällt. Die Künstlerin kann es scheinbar nicht fassen. Vielleicht liegt es daran, dass diese Veranstaltung, die nun am Ende sein sollte, für sie jetzt erst richtig beginnt. Man kann nur ahnen, wie tief sie jetzt schürfen muss, in welche Schächte ihrer Psyche sie nun hinabsteigen muss, um dort genügend brennbare Fossilien hervorzuholen, um sich und die Veranstaltung noch etwas weiter betreiben zu können. Denn das ist ja das, was man den Kreativen nachsagt, ihnen andichtet, nicht wahr? Unendliche Schöpfungskraft, das Versprechen unbegrenzter Energie.

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Hen zeigt mit ihrer Installation „LIGHT HIGH“, dass jeder Unendlichkeit ein Ende innewohnt, dass man nicht immer so weiter machen kann, egal ob man nun Kunstszene oder Braunkohleindustrie ist, und dass man mit Ressourcen (auch wenn sie unendlich scheinen) schonend umgehen muss, wenn man sich selbst erhalten will. Die Sponsoren, die Institution, der größte Teil des Publikums, die Presse und das Fernsehen werden für diese Vision vom Ende der Unendlichkeit blind bleiben, denn wenn schon die Natur endlich ist und wir das auch langsam verstehen – irgendwo muss der Raubbau ja schließlich weitergehen.

In eigenem Auftrag: Nachdem sich die etablierten Berliner Kunstmagazine also zu fein waren auch nur auf meinen, ihnen eingereichten, Verriss zum Berliner Gallery Weekend (Slating Attempt No.2) zu reagieren, bleibt dieses Epos wohl für immer verschollen, in der digitalen Hölle meiner Festplatte. Doch ich ruhe und raste nicht, denn es gibt eine ganze Kunstwelt da draußen, die sich in Selbstgefälligkeit badet und die schiefen Töne schon lange vergessen hat. Die Kunst feiert sich als das Außen der Gesellschaft und glaubt alles kontextualisieren, alles zu betrachten, zu kritisieren, interessant machen zu können: Seien es Kolonialismus, Feminismus, Sexismus, Kapitalismus, Klimawandel, Gentrifizierung – sich selbst eine Meinung zu bilden, über die Spielereien im eigenen Inneren hingegen bleibt Tabu – oder hat jemand in letzter Zeit mal etwas Kritisches gelesen in den einschlägigen Kunstblättern (wenn ja, dann mailto: p.wulgarow@perewodka.de)?

Photo courtesy of the author.

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