review

The Mycological Twist: Erde zu Erde und Rust zu Rust

Dieses Mal bin ich an die komplexen Pilzgewächse von The Mycological Twist geraten. Ein Review vom Project Space Festival Berlin 2019 von Petroschek Wulgarow.

15.06.2019 – Anne de Boer und Eloïse Bonneviot sitzen in der Pariser Wohnung ihrer Eltern vor einem spärlichen Heizkörper und dekorativen, aber billigen Vorhängen. Ich sitze in der Wohnung meiner osteuropäischen Intellektuelleneltern nahe der polnischen Grenze. Schon witzig, denke ich, wie den Kreativen oft die Vorreiterrolle im Gentrifizierungsprozess vorgeworfen wird und da hängen wir nun vor unseren Bildschirmen und skypen über den Kontinent hinweg, in den Höhlen unserer Vorfahren.

Anne de Boer & Eloïse Bonneviot skyping with Petroschek Wulgarow © courtesy to the author

Das Künstlerpaar hatte mir vergangene Woche das witzigste RSVP in meiner ganzen Zeitspanne als Kunstjournalist geschrieben. Hier eine deutsche Kurzversion: Komm am 6.6.2019 ab 9 Uhr an Ort X, bring deinen Computer mit und kauf dir dieses Spiel. Wir zocken bis 17 Uhr. Es gibt Performances im Game und auch im Raum selbst.

De Boer und Bonneviot sind Gamer, sind ein Paar, sind Künstler und was sie tun, erfordert viel Hirnschmalz, denn in ihren Ausstellungen fließen nicht nur Installation und Performance zusammen, sondern auch Politik und Ökologie, die für die beiden untrennbar sind, sowie die interaktive Kollaboration mit anderen Künstlerinnen und ihrem Publikum sowie anonymen Gamern auf den internationalen Servern dieser Welt. De Boer und Bonneviot sind zusammen The Mycological Twist.

06.06.2019 – In einem Co-Working Space in der Christburger Straße Berlin hört man unersättliches Klicken und Tackern von Mäusen und Tastaturen. In der gentrifizierten Parallelwelt des hippen Berliner Startup-Großraumbüros haben sich ein paar Künstler*innen niedergelassen, um etwas zu tun, das komplett unartsy und so gar nicht hip rüberkommt: Computerspielen.

Damit verdoppeln sie die glänzende weiße Welt eines hellleuchten Co-Working Areals, das die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit auflösen soll und spiegeln sie in einem scanner darkly oder einem black mirror (um einfach noch mehr popkulturelle Referenzen zu bemühen). In ihren Bildschirmen nämlich, flackert die postapokalyptische Welt des Open-World-Online-Multiplayer-Survival-Games Rust. Ein Spiel, in dem der Spaß zähflüssig wird, denn das, was man hier ohne Unterlass tut, ist arbeiten.

Die Ausstellung Rust to Rust

Rust to Rust, Project Space Festival 2019 © The Mycological Twist

Rust to Rust war eine Wiederkehr von de Boer und Bonneviot in die grausame Welt des Spiels Rust. Wie Adorno in seiner totalitären ästhetischen Theorie einmal sagte, nutzt die Avantgarde der Kunst nur die ambitioniertesten Materialien. Computerspiele sind immateriell und lassen sich eigentlich nicht mit Avantgarde zusammendenken, denn hier sammeln sich das Proletariat, Schüler*innen und Studierende und verschwenden aus konservativer Sicht ihre Zeit. Auch wenn sich das Image vom Gaming langsam zu wandeln scheint, in unseren Breitengraden denkt man dabei vor allem an einsame, männliche Jugendliche, die Allmachtsphantasien ausleben und auf den nächsten Amoklauf hintrainiert werden.

Rust ist das Material für The Mycological Twist und zu dessen Bearbeitung hatten sie sich die Künstler Laura Yuile, den Omsk Social Club und Sanna Helena Berger hinzugeholt.

Server: Christburger Straße – Performances in Rust

Damit man verstehen kann, was da geschah, muss kurz etwas über das Spiel selbst erzählt werden: In Rust ist die Welt untergegangen und wird nun von hunderten Spielern (bis zu 400 auf einem Server) wiederbevölkert. Man muss essen und schlafen und trinken, um nicht zu sterben. Dabei kloppen die Spieler mit Steinen auf Bäume ein, um Holz zu gewinnen, bauen immer bessere Werkzeuge und ernten damit immer neue Ressourcen, um noch bessere Werkzeuge, Unterkünfte und auch Waffen zu bauen. So kann man sich selbst die Welt neu aufbauen oder anderen Spielern all das wegnehmen, wofür man selbst nicht arbeiten will. In einem Review findet sich die Beschreibung: Rust ist ein hochaggressives, stark wettbewerbsorientiertes und superfrustrierendes Spiel.
Ich frage de Boer und Bonneviot während unseres Gesprächs: Ist das Eure Hommage an die Kunstwelt? Die Beiden lachen verlegen und stimmen verhalten zu.

Was die Beiden an Rust so sehr interessiert, sind verschiedene Dinge: Zuallererst beschäftigt sie die Verlängerung des Kapitalismus in diesem Spiel über sein Ende, die Apokalypse, hinaus: Wachstum, Arbeit, beständiges Erweitern und Verbessern von allem, was bereits da ist und schließlich: die Habgier, die Gewalt und der Mord des Besitzes wegen. Für sie ist das nicht die Zukunft, sie wollen zeigen, dass das anders geht, dass die postapokalyptische Dystopie keine sein muss. Dabei fokussieren sie sich selbst vor allen Dingen auf zwei Themen: Architektur und Agrikultur.

In Rust bauen Spieler zum eigenen Schutz stets Bunker, Blocks, Burgen. De Boer und Bonneviot setzen gegen diese Architektur Offenheit und Ästhetik: Sie bauen Gärten und offene Areale, sie versuchen die rechten Winkel, die Sicherheit suggerieren, hinter sich zu lassen. Sie laden Spieler dazu ein, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Doch in der rauen Welt von Rust, ist das oft schwieriger als gedacht. Einmal kommt ein Spieler vorbei und tötet sie – grundlos. Später nehmen sie über den Server Kontakt zu ihm auf und sagen ihm, dass wenn er etwas haben möchte, kann er sie gern fragen, sie teilen gern, es gibt genug für alle. Dem Spieler tut es leid, er verspricht sie nicht mehr zu töten: Was für eine Utopie!

Um Architektur ging es dann auch in Laura Yuiles Performance, die im Rahmen von Rust to Rust als „The Real Estate Agent“ russische Server bereiste – wo die Spieler überraschend kooperativ und freundlich sind. Dort ließ sie sich durch Burgen und Häuser führen und führte Gespräche über mögliche Wertsteigerungsvorhaben – eine Hommage an Gentrifizierung und Immobilienmarketing.

Der Omsk Social Club konstruiert für gewöhnlich Situationen, in denen sich Besucher drei Stunden Zeit nehmen oder sofort wieder gehen müssen, denn es handelt sich um Varianten von Life-Action-Roleplay-Games (kurz: LARPS), die auf die Gegenwart der Spieler angewiesen sind. Für Rust to Rust versuchte der Social Club das zu tun, was ihm im Namen zu eigen ist: eine Community zusammenkitten. Das taten sie mit Spielen, in denen die Mitspieler sich gegenseitig Aufgaben erteilten. Ähnlich wie Wahrheit oder Pflicht mussten sie bestimmte Dinge tun, bestimmte Orte erreichen oder etwas über sich erzählen. Sie demonstrierten wie gut diese einfachen Spiele der Menschenwelt auch noch in der digitalen Spielwelt nach dem Weltuntergang funktionieren, wenn es darum geht, Gemeinschaft zu schaffen. Während in unserer Gegenwart Community-Building das Schlagwort für Co-Working-Spaces und Arbeitgebermarken ist, um sowohl Angestellte als auch Kundinnen auf eine Linie mit der Marke zu bringen und in die tiefsten Tiefen ihres Privatlebens zu drängen, haben sie die einfachen Gesellschaftsspiele längst vergessen. Stattdessen müssen glatte Oberflächen her und interaktive Bildschirme, nahtlose Quantifizierung, Kaffeemaschinen und Community Events, Yoga Sessions und Motivationssprüche für mehr Mindfulness und Leistung.

Die Künstlerin Sanna Helena Berger spielte nicht selbst mit, sondern projizierte Spielgeschehnisse und Dialoge in Form von Chatverläufen über die Game-Messaging-Plattform Twitch an die Wand, wodurch die Reisenden in der Parallelwelt immer wieder in die wirkliche Welt zurückgeholt wurden. Berger nutzte das Material als Inspiration für eigene Performances und Modelle von Räumen und Gebäuden, die sie vor Ort anfertigte.

Rust to Rust – within the installation © Photography by Billie Clarken, Courtesy of Berlin Project Space Festival and the Mycological Twist

Die Vergangenheit der Pilzköpfe

Irgendwann in 2014 – The Mycological Twist entstand, als de Boer und Bonneviot dazu eingeladen wurden, einen Teil des urbanen Gartens der Galerie Jupiter Woods in London zu beziehen. Pilze und Sporen sind ihr Thema, faszinierten sie, also beschlossen sie den Garten in eine Pilzzuchtanlage, in eine Giftumwandlungsstätte, zu transformieren. Sporen sind das, was übrigbleibt, wenn die Welt untergeht, zum Beispiel durch einen nuklearen Holocaust oder toxische Umweltverschmutzung. Pilze sind in der Lage Gifte, Strahlung und Schadstoffe zu absorbieren und über lange Zeiträume hinweg wieder für Pflanzen und Tiere belebbare Räume zu schaffen.

Mit ihrem Projekt in London reagierten de Boer und Bonneviot auf die zunehmende Gentrifizierung und Überbevölkerung der Stadt. Zum einen bringt die Stadt Leben und neue Lebensformen hervor, zum anderen ist die Großstadt laut, septisch und stinkt (in Anlehnung an den Titel eines Japanische Kampfhörspiele Albums von 2002) und zerstört die gesamtweltliche Biosphäre. Anstatt also wie ein Startup-Yuppie in einen Co-Working Space in eine Metropole zu ziehen und dort die neue Welt durch Wachstum und Innovation zu gestalten, das städtische Umfeld für immer zu verändern, zu gentrifizieren, beschloss das nomadische Künstlerpaar ihre Spuren aufzulösen, den Dreck und das Gift produktiv zu nutzen – ihre und unsere Existenz den Pilzen zum Fraß vorzuwerfen.

The Mycological Twist im Project Space Festival 2019: When the Hunger starts.

The White Cube of Rust to Rust uninhabited © Photography by Billie Clarken, Courtesy of Berlin Project Space Festival and the Mycological Twist

Das Project Space Festival Berlin 2019, gefördert durch den Berliner Senat, präsentiert(e) an jedem Tag des Junis eine oder mehrere Performances, Installationen, Gespräche und Interventionen verschiedener Kunsträume Berlins im urbanen Raum – unter dem Thema „When the Hunger starts“.

Die Initiator*innen verstehen das als ein Angebot für die beteiligten Künstlerinnen und Kunsträume auf Armut und Gentrifizierung im urbanen Raum zu reagieren, aber auch selbstkritisch zu werden und die Rolle der Projekträume in solchen Prozessen zu hinterfragen. Ein würdiges Anliegen, schaut man z.B. auf die prestigeträchtigen Kooperationspartner „Arts of the Working Class“: Zum einen lassen diese ihre Zeitungen von Obdachlosen (der Erlös geht an die Verkäufer) verkaufen und bekennen sich somit (auch mit ihrem Namen) zur Straße, zu den unteren Schichten der Gesellschaft. Zum anderen findet man sie, durch ihren überwältigenden Erfolg, inzwischen auf allen großen Kunstmessen Europas. Nur ein Beispiel dafür wie Kunst und Kultur auch jenseits des Mainstreams einen prekären Balanceakt eingehen müssen, um bestehen zu können.

Dieses Paradox greifen The Mycological Twist in ihrer Performance-Ausstellung gleich zweifach auf: Sie spannen den Bogen weiter, den sie in 2014 in London begonnen haben, hin zu den White Cubes der Kunstwelt und setzen eine schmutzige, toxische und dunkle Landschaft dagegen; die Welt der dunklen Ökologie, die apokalyptische Welt von Rust, die prokrastinierende und so gar nicht elitäre Dimension von Computerspielen. Kunsträume in Berlin sollen genau auch das sein: Eine Antwort auf große Galerien, eine Sammlung für das Kantige, das Schmutzige und Emergente in der Kunst. So übertragen The Mycological Twist das Motiv des White Cubes auf die Co-Working-Spaces, die geschaffen wurden, um die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit aufzuheben, die Gesundheit, Sauberkeit, Effizienz in den Mittelpunkt rücken und dabei selbst zu Fabriken der Verschmutzung und Toxizität unserer Welt werden. Da wo es besonders licht ist, fällt an anderer Stelle besonders viel Schatten: Das Greenwashing, die Mindfulness, der Fokus auf lokales und gesundes Essen sind Privilegien einer höhergestellten Schicht. In den strahlenden Co-Working Tempeln wird die Illusion geschaffen, dass dieser Lebensstil nicht toxisch sein muss, dass die Umweltverschmutzung durch bewussten Konsum neutralisiert werden könnte, während rings um den Elfenbeinturm die verschiedenen Lebensformen welken, Menschen ihre Häuser verlassen und der Hunger mit Zahlung der nächsten Monatsmiete schon wieder beginnt. Aber in diesen Leistungszentren gibt es auch in den Köpfen keinen Raum für Dunkelheit: Performance und Marketingpositivität verdrängen die Gedanken an Verlust, Depression, Panik und Existenzangst. Doch wann immer solche Aspekte verdrängt werden, finden sie einen noch rabiateren Einfall in unsere Lebenswelt, seien es Schwarzschimmelsporen in unseren Wohnungen, erhöhte Suizidraten in Großstädten, unbezahlbare Mieten und steigende Armut – für de Boer und Bonnevoit ist Natur Gesellschaft, ist Gesellschaft Politik, ist Politik Ökologie und Ökologie Psychologie – all das verbindet sich und verzerrt sich im Bild des Pilzes: Ein Mycological Twist.

06.06.2019 – Als der Hunger begann, blieben sie starr vor ihren Bildschirmen sitzen und liefen doch los, den Finger auf der Pfeiltaste. Sie hatten keine Wahl: In diesem menschenfeindlichen Umfeld mussten sie essen, was auf dem Boden wuchs – während im Raum nebenan eine Kaffeemaschine mit Hafer-Latte-Macchiato-Eigenschaften unbeachtet ökologische Wachstumsträume träumte …