attempt one: art berlin
by Petroschek Wulgarow
Exposition
Das hier ist kein Art Review. Dies ist der Versuch eines Verrisses. Ein Verriss ist nicht nur Zerstörung. Ein Verriss ist Respektsbekundung, Neugier und das Eingeständnis, dass man nicht in der Lage ist, einen positiven Bezug herzustellen. Mir geht es oft so mit Kunst und noch viel mehr mit der Kunstszene. Ich möchte es also darauf anlegen, es versuchen. Ich will einen Verriss schreiben, damit ich im umgekehrten Sinne einen positiven Bezug finde, einen Weg mich dem Gewirr einer Kunstmesse respektvoll zu nähern.
Der Plan
Ich gehe auf eine Kunstmesse, teile den Galeristen dort mit, dass ich einen Verriss schreiben werde. Ich biete ihnen an, für 10 Euro eine Opt-Out Option zu erhalten – ihr werdet nicht erwähnt, wenn ihr mich bezahlt. So würde ich, wenn ich 40 Galerien an einem Nachmittag abklappere, zumindest einen gesunden Tagessatz verdienen. Kritik an den prekären Zuständen der Kunstindustrie? Nein, eigentlich nur ein Versuch von Satire. Ich versuche Selfies mit den Galerist*innen und einem 10-Euro-Schein zu machen. Mein Vorhaben wird erfolglos bleiben. Mein Name ist Petroschek Wulgarow. Ich bin die hipsterigste Kunstszeneversion, die ich innerhalb eines Duschvorganges und einer Rasur von mir herstellen konnte.
Das Setting
Willkommen auf der Art Berlin Fair. Die Kunstmesse wurde gerade eröffnet und alles strotzt nur so von Menschen, von Kunst- und Spektakelbegeisterten. Die Stände sind allgegenwärtig und nehmen alle Formen an. Ein komplettes Spektrum wird hier geboten: Vom klassischen Galeriestand, bis hin zu verwinkelten, labyrinthartigen Studios, Bühnen und Boxen in der Anmutung skurriler Dekor-Wohnzimmer. Von knalligem Plastikmüll mit Meta-Message, über Prominentenfotografie bis hin zu den hochkulturellen großformatigen Gemälden, die auf dich herabblicken. Die Skulpturen im Außenraum sind traurige Pappmaschee- Kunststofftürme, eine weiße Jacht liegt dort herum – spüre ich da den Hauch von Konfrontation mit einer wohlgenährten Sammlerkaste? Hm. Nein.
Die Kunst muss ernst genommen werden
Bei einer Berliner-Stockholmer Galerie nimmt mich eine junge Frau beiseite und erzählt mir etwas über die ausgestellte Kunst. Das Gespräch ist ganz nett, aber auch etwas gezwungen, nett gezwungen. Ich bin mir sicher, das liegt an mir. Ich bin ein Weirdo, sie macht ihren Job. Ich versuche Wulgarow zu sein und schäme mich, schon bevor ich anfange die Rolle wirklich einzunehmen.
Ich schriebe einen Verriss, sage ich. Das gefiele ihrem Chef, der sitzt da drüben, bestimmt nicht, sagt sie. Ich relativiere, stelle ihr mein Opt-Out-Modell für 10 Euro vor. Das ist Blackmailing, sagt sie. Ich frage sie, ob sie ein Selfie mit mir machen würde, mit einer 10 Euro Note. Sie möchte ihren Job behalten – der Vertrag läuft nur auf einen Monat. Dafür habe ich volles Verständnis. Die Kunst muss ernst genommen werden. Ein Arbeitsplatz in der Kunstwelt noch ernster. Ich sage, das ganze wäre Satire. Sie versteht nicht. Eine Art Kunstperformance, sage ich. Ja …, nein ….
Aber nicht nur sie ist angespannt. Auch die anderen jungen Frauen, mit denen ich hier spreche und auch viele der älteren wirken ängstlich und gestresst. Ich möchte keine Frau in der Kunstwelt sein, denke ich mir. Und eigentlich auch kein Mann. Und auch keine Kunstperson.
Der Art Berlin fehlt jede Ironie
Kunstmessen und Galerien wurden schon oft als Un-Orte beschrieben, als Nicht-Räume. Bilder sind Nicht-Dinge. Kunstwerke sind Nicht-Seiendes. Kunst transzendiert das, was sie darstellt. Das hier ist keine Pfeife. Aus diesem Grund ist Kunst ironisch, sie ist uneigentlich. Deshalb kann jede auch damit anfangen was sie will und jeder ästhetisch finden, was er möchte. Nun dachte ich, die Menschen, die jeden Tag mit dem Uneigentlichen zu tun haben, könnten auch damit umgehen. Nein. Sie können es nicht. Ganz besonders nicht auf der Art Berlin. Es stört nämlich das Eigentliche:
Galerien zahlen hohe Preise, um einen Stand zu bekommen. An keinem Ort ist Zeit mehr Geld als bei einer Messe. Dementsprechend können nur zwei Formen von Beziehungen aufgenommen werden. Die einen, die Aufmerksamkeit bringen könnten – Presse. Die anderen, die in Kaufabschlüssen enden könnten. Trat ich als Journalist auf die Kunstverkäufer zu, sprachen sie mit mir. Trat ich als Kunstperson auf sie zu, lehnten sie mich ab. Ich wurde mehr als einmal höflich und unhöflich aufgefordert das Weite zu suchen.
Am schlimmsten war aber mein Hybrid aus Privat- und Kunstperson. In einem Falle sah ich eine Bekannte, die bei einer Galerie arbeitete und ich war überraschend nicht in der Lage weder das eine noch das andere zu sein. Mein 10-Euro-Standard-Programm lief zwar, aber eben auch das Hi-und-was-machst-du-so. Oh mein Gott, wie peinlich.
Du kannst uns gern verreißen, sagte sie mir und vermittelte mir eindringlich der Zug für ein Gespräch sei abgefahren und ich solle ihm folgen. Die ausgesprochene Einladung zum Verreißen allerdings nehme ich an: Ich glaube, auch ohne jede Einführung und ohne mir auch nur 30 Sekunden für die ausgestellten Werke genommen zu haben (weil ich der peinlichen Situation des Abgewiesen-Werdens entkommen wollte), dass es sich wohl um fürchterliche Kunst gehandelt haben muss. Spekulativer Kunstjournalismus. Ich empfehle den geneigten Lesern allerdings sich den Stand und die vertretenden Künstler dieser schwer auszusprechenden Galerie selbst anzugucken und sich auf keinen Fall zu verkleiden und auf keinen Fall zu viel Zeit der anwesenden Galerist*innen in Anspruch zu nehmen. Zwinkersmilie.
Verteidigungsmechanismen
Oft wird gesagt, es gäbe keine schlechte PR. Deshalb nahm ich an, dass die Leute zumindest eine Chance dahinter wittern, wenn ich ihnen sagte, ich wäre hier um einen Verriss zu schreiben. Aber nein. Vor Verrissen haben hier alle Angst. Ich frage einige Galerist*innen, ob man sie schon einmal versucht hat mit schlechten Kritiken zu erpressen. Nein. Ich frage, ob sie für gute Reviews bezahlen würden. Nein. Und das überrascht mich, da hier doch eine brutale Marktlogik in allen Bereichen der sozialen Interaktion zwischen Medien, Galeristen und Publikum unterliegt. Aber irgendwie haben sie noch diese schrullige old-fashioned Ehrlichkeit. Sie sind noch nicht im Zeitalter des Sponsored Content und Native Advertisings angekommen. (Sie verkleiden sich nicht und gehen auf Kunstmessen, um dort Galerien mit Verrissen zu erpressen).
Diese Kunstwelt der Art Berlin ist trotz progressivster Kunstinhalte, trotz Feminismus und Gesellschaftskritik, die auf der Bildebene des Dargebotenen stattfinden noch immer ein tief konservatives System. Eines, das vielerorts von Männern in Anzügen dominiert wird. Eines, in dem Menschen unterbezahlt und unter hohem Druck arbeiten. Und ihre Angst vor Willkür, Verlust und Versagen ist leider allgegenwärtig.
Gastfreundschaft
Jeder Stand soll einladend wirken und offen oder zumindest zur Interaktion provozieren, denn schließlich soll ja ein Dialog stattfinden, verkauft werden. Natürlich ist der gesamte Modus einer Messe nicht gerade einladend. Es gibt wenige Sitzgelegenheiten und die älteren Herrschaften scharen sich um den einen traurigen Stuhl am Rand jeder Box, der eigentlich dem Galeristen zusteht. Findet man Sitzarrangements, dann sind diese ebenfalls den Galeristen vorbehalten. Die Macbooks und zahlreichen Unterlagen auf den zugehörigen Tischen machen ganz deutlich, dass man hier Zeit und Platz stiehlt, wenn man sich kurz niedersetzen möchte. Die Gastgeber bilden sich vielerorts eine Schutzwand und gucken, so wie man durch einen Spion in den Hausflur schaut, über den Rand ihrer Bildschirme zu den Interessierten.
An einer Stelle fand ich einen einladenden Stand. Ein Strauch weißer Rosen stand auf dem Tisch und ein aprilfrisch grüner Teppich bedeckt den eingegrenzten Ausstellungsbereich. Kein Macbook weit und breit. Ein dekorativer Künstler wird hier ausgestellt, mit zahlreichen farbenfrohen Kunstharzplatten. So einladend wie der Bereich war auch die betreuende Person. Ich hatte aber auch schon dazu gelernt und war ganz der Journalist. Erst später offenbarte ich ihr ganz transparent meine Pläne. Und sie blieb offen. Sie wurde nicht gestresst oder defensiv. Ich hätte sogar fast etwas gekauft. Nur ein 10 Euro Selfie wollte sie nicht mit mir machen.
Ein positives Ende mit Verriss
Es ist nicht alles schlecht auf der Art Berlin. Der Versuch einen umfassenden Verriss zu schreiben, muss scheitern. Das war ja auch die Absicht – ich wollte ja etwas Positives mitnehmen und das habe ich. Es gibt diese einzelnen Stände, an denen Wärme und Willkommenskultur vor Coolness und Verkauf gehen. Es ist aber auch offensichtlich, dass es sich bei diesen dann um etablierte und zufriedene Player handelt.
Ich habe gelernt, dass Satire und Ironie im Zwischenmenschlichen der Kunstmesse Art Berlin aufs Kleinste reduzierten werden müssen. Ich habe das direkt vorher bei der Positions Art Fair anders erlebt. Hier schenkte der Galerist Steffen Lachenmann Champagner aus, machte eine humorvolle Notiz zu meiner Pablo Escobar ähnlichen Erscheinung und sinnierte dann: „Schaumwein ist das Gleitgel der Galeristen.“ Und er bestand darauf zitiert zu werden. This one is for you, Steffen. Ein angenehmes Beispiel von Humor, von Selbstironie – der Mann hieß aber auch Lachenmann.
Ich verstehe, wie das Lachen in dem gewaltigen Gewimmel der Art Berlin untergeht, denn Ironie kostet Kraft und sie relativiert den Ernst, diesen unheimlichen Ernst, den die meisten hier haben. Und der rührt aus Angst: Existenzangst, Angst, nicht elitär genug oder eine Instanz zu sein, Angst Zeit und Geld zu verschwenden, Angst den Job zu verlieren. Die Messekultur, dazu die marodierenden Massen, das Eingesperrtsein über Tage befördern diese Angstzustände noch körperlich.
Wie eingesperrte Tiere vor abstrakten Bildnissen sitzen sie da. Man kann denen an der Art Berlin teilnehmenden Galerist*innen und Mitarbeiter*innen nur wünschen, dass sie, so wie ich mir am Ende des Tages den Hipsterschnauzbart abrasierte, ihre Kunst und Hosenanzüge beiseitelegen und sich den ganzen Stress weglachen können.
Images: Courtesy the author.