interview

mit Heinrich Carstens, Direktor
paper positions und Positions Art Fair

paper positions berlin 2018, Direktoren. Photo: Clara Wenzel-Theiler.

Gastfreundschaft im Rahmen einer Kunstmesse.
von Sarie Nijboer

Wie würdest du den Rahmen einer Kunstmesse beschreiben, basierend auf deinen persönlichen Erfahrungen im Kunstbereich?

Heinrich Carstens: Als ich in den 80er Jahren begann, mich mit dem Kunstmarkt zu beschäftigen, gab es vor allem die Idee, auf einer Kunstmesse Leute kennenzulernen und Kontakte zu knüpfen, damals gab es ja noch kein Internet. Nur so konnten Kuratoren und Kunstschaffende getroffen werden, natürlich auch Sammler, aber vor allem war es wichtig, Kollegen zu treffen. Es war eine Chance, andere Programme kennenzulernen und neue Künstler. Es gab immer Konkurrenz zwischen Galerien, aber es gab trotzdem viel mehr Zusammenarbeit. Ich erinnere mich noch an meine erste Messe als Galerist, auf der Art Cologne. Kollegen kamen mit den Sammlern herüber, um ihnen meinen Stand zu zeigen und uns miteinander bekannt zu machen. Das hat natürlich sehr geholfen. Heute habe ich das Gefühl, dass viele Galerien eher gegeneinander agieren. Aber das ursprüngliche Konzept einer Kunstmesse ist Kontakt und Kommunikation.

Wie hat sich diese Veränderung deiner Meinung nach ergeben?

HC: Ich glaube, das Gegeneinander ist entstanden, weil es so viele Galerien und Künstler gibt. Es kann nicht zu viel geben, aber der Markt ist nunmal relativ klein und umkämpft. Wir versuchen mit unseren Messen auch kleineren und unbekannteren Galerien Raum zu geben. Galerien können sich bei uns bewerben, dann schauen wir uns alles an und letztendlich entscheidet die Qualität. Uns sind die ganz großen internationalen Namen nicht so wichtig. Wenn sich z.B. Gagosian bewerben würde, würde ich mich geehrt fühlen, aber ehrlich gesagt, wäre es für unser Konzept nicht so relevant. Denn es gibt unglaublich viele kleine Galerien, die mit so viel Leidenschaft arbeiten und so ein tolles Programm haben, dass es für uns viel interessanter ist, diesen Händlern ein Forum zu geben und ihnen eine Plattform zu bieten.

Wie kann man als Leiter einer Kunstmesse flexibel und offen gegenüber Unbekanntem oder Unerwartetem sein?

HC: Ich reise viel und es gibt immer Leute, die mir sagen, dass es etwas Großartiges gibt, etwas Neues, das man anschauen soll. Ich möchte unbedingt für alles offen bleiben. Wenn ich zum Beispiel in Berlin herumgehe, besuche ich nicht nur die bekannten Galerien. Bei uns ist es nicht so, dass am Ende des Tages der Name der Galerie entscheidet, ob wir uns das Programm anschauen wollen. Nicht der Name an der Tür ist entscheidend, sondern das, was ich innen zu sehen bekomme.

Die englische Übersetzung von ‘Gastfreundschaft’ ist ‘Hospitality’. Es ist ein Konzept, das in Wechselbeziehungen und in die Dynamik zwischen Gast und Gastgeber eingebettet ist und in bestimmten Zusammenhängen auch mit der Erwartung von Freundlichkeit und Unterkunft verbunden ist. Wie siehst du die Gastfreundschaft im Rahmen der Kunstmesse?

HC: Als wir 2014 mit unserer Messe angefangen haben, haben wir (Kristian Jarmuschek und ich) uns zuerst überlegt, was wir anders machen können als das, was wir von anderen Messen kennen. Was wir gut finden, das übernehmen wir. Was wir schlecht finden, das lassen wir weg. Was mich immer verärgert hat, waren z.B. die Kuratoren und Direktoren einer Messe, die mit einem tollen Sammler fröhlich winkend an deinem Stand vorbei liefen, um direkt zu einer großen Galerie zu gehen. Dann habe ich immer gedacht, geht doch auch mal zu den kleineren Galerien, die die Kontakte viel nötiger brauchen. Das war einer der Punkte, die wir unbedingt anders machen wollten. Wir sind in erster Linie Dienstleister für alle unsere Aussteller.

paper positions berlin 2018. Photo: Clara Wenzel-Theiler.

Ich habe großen Respekt vor der Kraft aller, die etwas Kreatives schaffen. Als Kunstmesse müssen wir mit verschiedenen Personengruppen, Sammlern, Besuchern, Galeristen und Künstlern umgehen. Die Ausrichtung der Gastfreundschaft unterscheidet sich daher von Gruppe zu Gruppe. Ich finde es wichtig, dass wir als Messe nicht nur den Raum, sondern noch viel mehr an Dienstleistung zur Verfügung stellen. Nur Raum für eine Koje für einen Aussteller ist uns einfach nicht genug. Nur eine VIP Karte für einen Sammler auch nicht.

Was sollte eine Kunstmesse Ausstellern und Besuchern aus deiner Sicht sonst noch bieten?

HC: Wir haben ein Team von bis zu 50 Leuten während einer Messe. Es sind junge Leute, die nett, freundlich und hilfsbereit sind. Sie helfen auch mal beim Tragen oder Transportieren. Wir versuchen zu verstehen, was jemand gerade als Service braucht. Alle Teilnehmer sollen sich wohl fühlen: Galeristen und Künstler.

Wir wollen es natürlich auch unseren Besucher so komfortabel wie möglich machen. VIP-Tickets und Champagner gibt es auf vielen Messen, aber für uns endet es nicht damit. Wir sprechen mit vielen Sammlern und Museumsgruppen und bieten ihnen persönliche Führungen an. Wir versuchen nicht nur etwas zu zeigen, sondern auch etwas zu erzählen: was wir tun, was wir wollen, was wir mögen, wer unsere Aussteller sind. In diesem Sinne ist es eine sehr persönliche Herangehensweise, es geht um Verbindungen und Kontakte. Dadurch entstehen neue Beziehungen zwischen Menschen. Zwischen Sammlern, Galeristen, Künstlern und so weiter. Deshalb veranstalten wir viele besondere Events für Sammler und Kuratoren. Wir wollen möglichst viele Menschen miteinander bekannt machen. Wir versuchen herauszufinden, was sie interessant finden und dann erstellen wir ein Programm, das jeweils zu ihnen passt. Wir erarbeiten dann immer eine Auswahl von Galerien, die wir vorstellen. Kristian Jarmuschek und ich machen viele Führungen, aber wir arbeiten auch mit Guides. Aber auch die bitten wir, auf der Messe schon beim Ausstelleraufbau herumzulaufen, um herauszufinden, was sie persönlich mögen. Um dann anschließend mit den Künstlern und Galerien zu sprechen, um weitere Informationen zu bekommen. Ein persönliches Interesse schafft eben auch eine Leidenschaft und eine andere und lockerere Art der Kommunikation.

Wie kann man als Kunstmesse für verschiedene Zielgruppen offen sein?

HC:Wir versuchen, bei der Auswahl der Galerien offen zu sein und für jeden Besucher etwas zu finden. Wir suchen nicht nach persönlichen Favoriten, sondern nach Qualität und Vielfalt. In Berlin wird immer gerne beklagt, dass es zu wenige Sammler gibt. Wir haben festgestellt, dass seit ein paar Jahren ein neues Publikum zum Kauf von Kunst hinzugekommen ist. In Berlin gibt es vermehrt junge Leute, die viel Geld verdienen. Sie interessieren sich schon irgendwie für Kunst, haben aber vielleicht noch nicht daran gedacht, Kunst zu kaufen. Sie brauchen am Anfang eine Weile für die Entscheidung, ein Kunstwerk von 3.000 Euro zu kaufen. Wir versuchen, sie an die Hand zu nehmen und zu erklären, was der finanzielle und inhaltliche Wert eines Kunstwerks ist. Wenn sie das erste Kunstwerk gekauft haben, ist die Entscheidung beim zweiten bereits viel einfacher, weil sie wissen, wie es funktioniert. Sie verlieren die Scheu und gewinnen Vertrauen. Manche müssen wir mittlerweile fast bremsen. Wir empfehlen dann, einen Kurator zu engagieren und zu überlegen, in welche Richtung die Sammlung gehen soll. In diesem Sinne sind unsere Kunden nicht nur Sammler, sondern viele unterschiedliche und sehr individuelle Käufer, die uns am Herzen liegen.

Hat das viel mit der Entwicklung von Berlin zu tun?

HC: Berlin ist nicht nur für junge Leute mit Geld interessant. Es gibt viele Events in Berlin und als Kunstmesse versucht man natürlich auch, diesen Event-Charakter auszubauen, aber es darf nicht nur um Unterhaltung gehen. Kunst ist in diesem Sinne immer zugänglicher für viele geworden und der Kunstmarkt ist in sehr kurzer Zeit expandiert und vermittelt einen besonderen Lifestyle. Natürlich bringt dieser Eventcharakter auch eine andere Gruppe von Menschen und sogar Sponsoren mit. Wir haben uns aber klare Grenzen gesetzt. Ich möchte nicht, dass es nur ein Society-Event ist. Bei anderen Kunstevents in Berlin sieht man neuerdings zum Beispiel, dass die Leute nicht nur die Kunst sehen wollen. Sie schauen sich eine Ausstellung oder Messekoje an, gehen aber schnell wieder weg. Es gibt mehr Besucher, aber weniger Interaktion und Kommunikation als früher. Man scheint sich mehr nur füreinander zu interessieren, weniger für die Kunst.

Gibt es eine Art von Ausstellungsform, die du magst?

HC: Das ändert sich oft. Dies hat auch viel mit der Lebenssituation zu tun und was mich gerade anspricht und interessiert. Vor kurzem habe ich zwei Ausstellungen in Warschau gesehen, bei denen ich dachte, wow, das ist toll. Es gab keinen “white-cube”, keinen klassischen Galerieraum. Es gab ziemlich abgerissene Räume, der Boden war völlig kaputt und in der Toilette wurde eine Videoinstallation gezeigt. Ich fand das total charmant, wie früher in Berlin. Der typische Berlin-Look. Ich mag das immer noch, deshalb mag ich auch Projekträume. Da es sich oft um Orte handelt, bei denen nicht klar erkennbar ist, hier gibt es Kunst zu sehen. Es muss nicht immer alles ausdrücklich als Kunstraum definiert werden. Vielleicht hat das auch etwas mit der Kunst zu tun, die ich mag. Ich mag es, wenn Künstler die Grenzen ausloten und untersuchen, wie weit man gehen kann, bis es noch als Kunst wahrgenommen wird. Ich mag Dinge, wo die Grenzen zu Design, Architektur oder Mode fliessend sind. Ich möchte nicht in dem bestätigt werden, was ich weiß oder was ich bereits gesehen habe. Ich möchte lernen. Ich mag daher auch das Konzept von Messe, wo man etwas Neues lernen kann und Ungewöhnliches zu sehen bekommt. Und Menschen trifft und kennenlernt. Deshalb versuchen wir als Messe immer, es wieder auf das zu bringen, was es sein soll: ein Ort, um sich zu treffen und Neues zu erfahren.

Neben der POSITIONS Berlin Art Fair habt ihr 2017 mit der ersten paper positions angefangen, die sich nun auf Basel und München ausgeweitet hat. Wie ist das entstanden und welche anderen Ausstellungsmöglichkeiten bietet es?

HC: Wir haben mit der Idee begonnen, paper positions als etwas Kleines zu organisieren, was man auch in verschiedenen Städten organisieren kann, wo es noch keine große Kunstmesse gibt. So eine Art Wanderzirkus. Die paper positions in München hat sich entwickelt nach der ersten paper positions berlin, bei der wir festgestellt haben, dass die meisten Käufer aus München kamen. Der Kunstmarkt in München hat eine lange Tradition, es gibt dort tolle Galerien und Institutionen, und es war uns schnell klar, dass wir das in München auch machen müssen, zumal es dort keine Messe für zeitgenössische Kunst gibt. Beim ersten Mal haben wir geprüft, ob das funktioniert, eine Messe von Berlin aus zu organisieren. Und dann stellte sich die Frage, ob wir es anderswo auch machen können. Wie gut sind wir, wo lauern die Fehler? Und als das Konzept klar war, und auch funktionierte, haben wir beschlossen, es auch nach Basel zu bringen. Paper Positions ist die Idee einer Gruppenausstellung, es ist eher eine Salonform und nicht wie eine traditionelle Kunstmesse. Dies passt viel besser zur Präsentation von Papierarbeiten. Nach jeder Veranstaltung versuchen wir etwas mehr zu wachsen. Für die zweite paper positions munich haben wir auch mit großen Skulpturen im Eingangsbereich gearbeitet, und in Basel haben wir nach langer Verhandlung das ehemalige Atelier von Dieter Roth dazu bekommen. Wir arbeiten bei paper positions nun auch noch mehr mit Sammlern zusammen und veranstalten Talks. Wir freuen uns natürlich, wenn wir wachsen können. Wir haben einige weitere Ideen in der Schublade. Wie können wir das Konzept erweitern und Menschen inspirieren? Es gibt so viele Bereiche der Kunst und es gibt noch so viele Dinge, die wir einbringen können.

Würdest du sagen, dass Berlin ein offener Ort für Kunst ist?

HC: Das ist Berlin noch immer, aber es ändert sich ziemlich. Egal, wohin wir reisen, Leute finden Berlin als Kunstort immer noch aufregend. Hier findet die Präsentation und Diskussion über Kunst statt, und natürlich gibt es viele Künstler, die in Berlin leben und arbeiten. Aber es gibt einen Grund, warum das so ist. Berlin war immer günstig zum Leben und man konnte hier Projekte mit wenig Geld und in sehr zentraler Lage starten, da es überall Gelegenheiten gab. Momentan sind wir im Vergleich zu anderen Städten in Europa im Hinblick auf die Lebenshaltungskosten immer noch günstig. Was wir jedoch verlieren, sind die Orte, an denen Künstler oder junge neue Galerien spontan etwas für wenig Geld machen können. Dies geht verloren und wenn wir nicht aufpassen, dann wird die Kunstszene in Berlin ihre Kraft verlieren. An den Stadtrand zu gehen, macht auch keinen Sinn, denn niemand kommt dorthin, weil es einfach zu weit weg ist. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass es viele großartige Dinge z.B. in der Linienstraße gab, ungewöhnliche und große leere Räume. Das gibt es nicht mehr und ich sehe eine große Gefahr darin, dass wir wirklich etwas Wichtiges verlieren und Berlins Kunstszene darunter leidet.

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