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„WATT SIND DAT DENN FÜR HÜBSCHE BLUMEN?” – „ALLE UNECHT!”

Hito Steyerl at Neuer Berliner Kunstverein (N.B.K.)
von Claudia Raupach

Es wurden einmal … oder vielmehr gerade jetzt … ein paar wunderschöne, von künstlichen Intelligenzen kreierte Blumen in den n.b.k. in Berlin Mitte verpflanzt. Hito Steyerl zeigt hier gerade ihren dystopischen KI-Garten mit dem Titel „This is the Future” sowie die Lecture Performance „Mission Accomplished: Belanciege”.

Video courtesy the author.

Umgeben von Screens, die Pflanzen zeigen, welche vor Shitstorms schützen oder Hatespeech verhindern können, befinden wir uns nach Eintritt im Innern der dunklen Ausstellungsräume. Diese hübschen Blumen, die Teil der „This is the Future”-Arbeit sind, und Namen wie „Urtica dioica futuris” tragen, riechen nicht mehr nur gut oder sehen nicht mehr nur noch ganz hübsch aus. Sie haben vielmehr konkrete Funktionen, wie z. B. das Abwenden eines Shitstorms. Vorbei die Zeiten, in denen Blumen unsere menschliche Existenz lediglich dekorierten, Kaffeetafeln abrundeten oder Beerdigungsgestecke formierten.

Wenn Pflanzen Shitstorms abwenden können, dann können sie sicher bald auch politisch aktiv werden, z. B. Wahlkampf betreiben oder eben Kriege führen. Eine absolute Machtdiktatur über die Natur durch künstliche, aber eben nicht mehr als menschengemachte, Systeme. Wenn diese ästhetische Gartendystopie hier real werden sollte, brauchen wir dringend neue Parameter der Pflanzenbeschreibung (schön, stachelig, hässlich, schwer in der Wohnung zu halten, gefährlich für den Menschen versus gut, böse, gefährlich für die Menschheit, politisch rechts, politisch links, aktivistisch).

SIND DIE NUN ECHT ODER UNECHT? 

Sind die hier gezeigten Blumen nicht nur voll schön, sondern bald auch Realität, müssen wir uns mit recht absurden Fragen auseinandersetzen: Wie ordnen wir eine Welt in der nicht nur der Mensch, sondern auch Pflanzen Agens besitzen? Brauchen wir für diese vielleicht bald existierenden KI-Gewächse dann nicht auch Pflanzenrechte? Können die dann noch bösartiger sein als Trump?

VIELLEICHT! 

Im zweiten Teil der Ausstellung „Mission Accomplished: Belanciege” bekomme ich Antworten auf diese Fragen. Vielleicht. Diesmal geht es nicht um Pflanzen, sondern um die Luxusmarke Balenciaga. Ihr habt sie sicher schon mal gesehen: diese Marke, die diese sehr klobigen Turnschuhe designt hat, die man mittlerweile absurderweise schön findet (ich auch – what a brainwash). Giorgi Gago Gagoshidze, Hito Steyerl und Miloš Trakilović entwerfen in Form der hier präsentierten Lecture Performance eine Erklärung für den Hyperkapitalismus, der sich durch die digitalen Medien und Netzwerktechnologien in den letzten 30 Jahren in allen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens ausgebreitet hat. Am Beispiel von Balenciaga, dessen Kleidung sowohl Kim Kardashian, aber auch einflussreiche Politiker*innen und Social Media Influencer*innen schmückt, wird nachgezeichnet, wie unbemerkt kapitalistische Machtstrukturen Politik und Gesellschaft durchdringen. Wie sie neue Bedürfnisse kreieren und neue Abhängigkeitslogiken schaffen. Nicht ohne einen gewissen performativen Leichtsinn, der auch dem skizzierten kapitalistischen System inhärent ist (Mode ist doch in erster Linie fun, fun, fun!), performen die drei ReferentInnen ihren Vortrag, der sich wie ein Enthüllungsroman des 21. Jahrhundert liest.

Image source: Fashionette.de

Nur dass nicht mehr die Mächtigen dieser Welt (also K.K., Trump und Co.), im Mittelpunkt der Diskussionen stehen. In erster Linie wird hier nämlich die Macht bzw. der Agens eines Turnschuhes oder auch einer Handtasche im Aldi-Style verhandelt. Am Ende der knapp 30 Minuten Performance hat man begriffen: Alles ist politisch. Alles ist dystopisch. Der Turnschuh, dein Insta Feed und Kim Kardashians Outfits, deine Wohnzimmer-Monstera (in Zukunft. Vielleicht.).


The exhibition runs until Sunday, 26 January 2020.