revisited

Deutsches Düster
von Claudia Raupach

Endzeitstimmung. Danach fühle ich mich in letzter Zeit ab und an mal. Ziemlich kurzfristig erfasst mich dann eine eisige Brise. Das kann im Freibad oder auf der Couch, inmitten eines lustigen Gesprächs oder beim Frühstück passieren. Auch wenn es draußen heiß und sonnig ist, kann es sein, dass mich dieses kurze, dunkle Gefühl einholt. Das mag daran liegen, dass ich nicht mehr fünf Jahre alt bin oder eben an bestimmten gesellschaftlichen Entwicklungen, die mir langsam aber kraftvoll die Kehle zuschnüren: Die Klimakatastrophe, die wie eine unkontrollierbare Dampfwalze auf uns niederrollt, während ich dasitze, auf meinem Campingstuhl und mein lauwarmes Dosenbier trinke. Diffuse Endzeitstimmung. Auch der anhaltende Rechtsruck, der sich in Deutschland ausbreitet – erst letzte Woche ist die AfD in zwei deutsche Landtage als zweitstärkste Kraft eingezogen – und sich mit jeder neuen Landtagswahl stärker manifestiert, sorgt bei mir für dieses diffuse Düster. Ich fühle mich ausgeliefert.

Heute ist ein heißer Sonntagnachmittag. Es ist so heiß, dass ich mich nicht mehr über die Hitze freuen kann, sondern mich gedanklich in jener oben beschriebenen Campingstuhlsituation befinde. Ich entscheide mich also dazu, nicht ins Freibad zu gehen und den Sommer zu genießen, sondern das deutsche Düster, das sich Jubiläumsausstellung im NBK nennt, zu besuchen. Anlässlich seines 50. Jubiläums zeigt der Neue Berliner Kunstverein (NBK) John Bocks „Im AntliTZ des SchädelapparaTZ“. Allein bei der Phonetik des Ausstellungstitels rollen sich mir die Nackenhaare auf.

Beim Betreten der verdunkelten Ausstellungshallen schiebt sich ein riesiges Stahltrapez in der Eingangshalle in meinen Wahrnehmungsapparat. Könnte ein Foltergerät sein oder ein Affenkäfig. Auch die Materialien, mit denen das Stahlgerüst ausgestattet ist, wecken düstere, nicht vorhandene Erinnerungen an Folter und nasse deutsche Keller: Karton, Scheren, Beile und Filz?!

Photo courtesy of the author.

Eine Geräuschkulisse bestehend aus Scheppern und Kettenklirren schmiegt sich an die kantigen Materialien. Wenn doch nur irgendetwas passieren würde. Stattdessen geht es diffus weiter. Kein Ende in Sicht. Was sich in den anderen drei Ausstellungsräumen befindet, deren Türen alle von der zentralen Halle mit dem zähnefletschenden Affenkäfig abgehen, möchte ich nicht mehr wirklich erfahren. Voller Mut begebe ich mich in den zweiten, kleineren, der insgesamt vier Räume. Eine Videoperformance über das eben gesehene Stahltrapez mit Tänzer*innen und dem Künstler selbst wartet auf mich. Glück gehabt. Ich sitze hier ein wenig herum, während ich versuche mich in die richtige Stimmung für diese Ausstellung zu gucken.

Ich bin übrigens die einzige Besucherin. Die komplette Bock‘sche Horrorshow nur für mich und eine anwesende Aufseherin, die meiner Frage nach ihrer Einschätzung des Gruselfaktors in den zwei weiteren Ausstellungsräumen (ich habe wirklich Angst!) mit einem warmen Lächeln begegnet.

Ich bin beruhigt. Weiter geht es also.

Video courtesy of the author.

Mit Projektionen und einer hyperrealistischen Geräuschkulisse ist Raum drei einem Kerker nachempfunden. Es ist hier so dunkel, dass ich von der Türschwelle nicht ausmachen kann, ob noch jemand im Raum ist oder ich hier auch allein bin. In eine in der Mitte des Raumes platzierte Badewanne plätschern monoton Wassertropfen von oben herab.

Im letzten Raum wartet, nach einem gefühlt endlos langen Flur mit zittrigem Deckenlicht und Blutspuren an den Wänden, ein Terrarium mit Schnecken in einer detailreich eingerichteten Schlafzimmerkulisse.

Nach drei schnellen Sekunden und einem Blick unters Bett verlasse ich die Schnecken, den Gang und die Affen.

Draußen ist immer noch Sommer und immer noch Deutschland.